Sexualisierte Gewalt & Consent
Was ist sexualisierte Gewalt?
Es ist Sex ohne Zustimmung
Sexualisierte Gewalt ist jegliche Gewalt, physische or psychische, die mit sexuellen Mitteln oder gegen die Sexualität gerichtet ausgeübt wird. Sie umfasst sexuelle Belästigung, sexuelle Nötigung, Vergewaltigung und andere Formen sexuellen Fehlverhaltens.
Ein sexueller Akt, eine sexuelle Bemerkung, ein sexuelles Verhalten oder eine sexuelle Haltung ist gewalttätig, wenn vorher keine sexuelle Einwilligung eingeholt wurde.
Quelle: Bureau de coopération interuniversitaire, 2017. Sexual Harassment and Violence in the University Context. S. 12
Es wird von der Vergewaltigungskultur geduldet
Eine Vergewaltigungskultur (engl. Rape Culture) ist eine Kultur, in der dominante Ideen, soziale Praktiken, Medienbilder und gesellschaftliche Institutionen sexuelle Übergriffe implizit oder explizit billigen, indem sie sexualisierte Gewalt normalisieren oder banalisieren, sowie Überlebende für ihren eigenen Missbrauch verantwortlich machen.
Die in der Vergewaltigungskultur geltenden sozialen Normen werden veranschaulicht durch:
- Infragestellung des Wahrheitsgehalts von Aussagen der Überlebenden
- Überlebende für die erlittene Gewalt zur Rechenschaft ziehen
- Schuldgefühle bei den Überlebenden hervorrufen, indem man ihnen die negativen Konsequenzen für den*die mutmaßliche Täter*in bei einer Anzeige gegenüber diesen vorhält
- Herunterspielen und Erotisieren sexualisierter Gewalt in den Medien
Einige dieser Sozialstandards wurden in einer an der Universität Ottawa durchgeführten Studie aufgedeckt, in der ein hoher Anteil der Männer Aussagen wie „Vergewaltigungsvorwürfe werden oft als Mittel benutzt, um es Männern heimzuzahlen“ zustimmte (42% sind neutral oder stimmen zu). In derselben Studie glaubt ein hoher Anteil der Männer, dass Frauen mitverantwortlich sind, wenn sie sich in einer Hochrisikosituation befinden oder wenn sie vergewaltigt werden, während sie sich in einem betrunkenen Zustand befinden. Der Bericht weist auch darauf hin, dass es einen Zusammenhang zwischen diesen Überzeugungen und der tatsächlichen Ausübung sexualisierter Gewalt gibt.
Hier sind 10 Fakten, die die durch die Vergewaltigungskultur verbreiteten Ansichten entkräften:
- Überlebende: Jede*r kann ein*e Überlebende*r von sexualisierter Gewalt sein, unabhängig von ihrem*seinem sozioökonomischen Status, der Art, wie sie*er sich kleidet, oder den Orten, an denen sie*er sich aufhält. 1 von 3 Frauen und 1 von 6 Männern wird im Laufe ihres*seines Lebens Opfer sexualisierter Gewalt.
- Täter*innen: Die überwiegende Mehrheit (ca. 80%) der Vorfälle sexualisierter Gewalt wird von jemandem begangen, der dem*der Überlebenden bekannt ist: ein*e Bekannte*r, ein*e Kolleg*in, der*die Partner*in, ein*e Freund*in oder ein Familienmitglied.
- Zeit und Ort: Sexualisierte Gewalt kann zu jeder Tages- und Nachtzeit verübt werden und findet meist an privaten Orten statt, wie z.B. im Haus des Täters oder des Opfers.
- Verhalten und Kleidung: Jede*r hat das Recht, sexuelle Aktivitäten abzulehnen, unabhängig davon, wie er*sie gekleidet ist oder wie er*sie sich verhält.
- Frauen: Das Verhalten einer Frau (ob sie trampt, spät nachts ausgeht, in einer schlecht beleuchteten Straße entlang geht, Drogen oder Alkohol konsumiert oder sich bereit erklärt, einen Mann zu begleiten) ist niemals eine Einladung zu sexuellen Übergriffen. Frauen streben nicht danach, angegriffen, gedemütigt oder erniedrigt zu werden.
- Art und Weise: Die meisten sexualisierten Gewalttaten werden unter Ausschluss der Öffentlichkeit begangen oder auf subtile Weise verübt, wobei in den meisten Fällen eher Manipulation oder Bedrohung als physische Gewalt eingesetzt wird.
- Widerstand leisten: Eine Reihe von Faktoren kann es schwierig oder unmöglich machen, sich einem*einer Täter*in zu widersetzen: Angst vor Vergeltung, Überraschungsmoment, ein veränderter Zustand als Folge des Drogenkonsums oder eine Sozialisation, die Passivität gegenüber Aggressionen begünstigt.
- Reagieren: Die Reaktion eines*einer Überlebenden ist kein Hinweis auf die Schwere der Vorfälle, die er*sie erlitten hat, oder auf das Ausmaß der Folgen für ihn*sie.
- Anzeigenerstattung: Nur 10% der Überlebenden erheben Anzeige über Vorfälle sexueller Gewalt. Die Gründe hierfür sind vielfältig: Überlebende haben Angst, dass ihnen nicht geglaubt wird, dass sie dafür verurteilt werden, sie haben Angst vor den Reaktionen ihres Umfeldes, Angst vor möglichen Repressalien, vor den Herausforderungen des Meldeprozesses usw.
- Falsche Anschuldigungen: Unbegründete Anzeigen wegen sexueller Gewalt sind nicht zahlreicher als bei anderen Straftaten.
Quelle: Bureau de coopération interuniversitaire, 2017. Sexual Harassment and Violence in the University Context.
Es ist ein gesellschaftliches Problem
Sexualisierte Gewalt hat ihre Wurzeln in sehr komplexen Strukturen in unserer Gesellschaft. Die Aneignung und Förderung bestimmter Werte kann diese gesellschaftlichen Strukturen in Frage stellen. Hier sind drei Werte, die sichere und von sexualisierter Gewalt freie Gemeinschaften fördern:
- Achtung grundlegender Menschenrechte Jede Person sollte sich im universitären Umfeld sicher fühlen und in der Lage sein, mit Selbstvertrauen und ohne Angst um ihr physisches oder psychisches Wohlbefinden am Universitätsalltag teilzunehmen.
- Gleichberechtigung der Geschlechter Sexualisierte Gewalt hat ihre Wurzeln im Machtmissbrauch und wird vor allem von Frauen und Kindern erlebt. Sie ist erkennbar durch systemische Diskriminierung und sexistische Haltungen, frauenfeindliche Äußerungen, lästige und unerwünschte Handlungen sexueller Natur oder Vergewaltigung. Sexual violence is rooted in the abuse of power and experienced primarily by women and children. Sexual violence can take form through systemic discrimination and sexist attitudes, as misogynist remarks, vexatious and unwanted acts that are sexual in nature, or rape.
- Respektieren von Unterschieden und Vielfalt Aufgrund von Vorurteilen und Stereotypisierungen sind Menschen aus Minderheitsgruppen einem erhöhten Risiko ausgesetzt, sexualisierte Gewalt zu erleben. Die Prävention sexualisierter Gewalt ist eng mit der Entwicklung einer Kultur der Inklusion und Akzeptanz von Vielfalt verbunden; die Förderung von Offenheit und Respekt gegenüber Mitgliedern der LGBTQI+-Gemeinschaft, für Neuankömmlinge, für Menschen aus verschiedenen Kulturkreisen und für Menschen mit Behinderungen.
Quelle: Bureau de coopération interuniversitaire, 2017. Sexual Harassment and Violence in the University Context. S. 9–10
Es ist ernst
Sexuelle Gewalt betrifft uns alle auf die eine oder andere Weise. Etwa 1 von 3 Frauen und 1 von 6 Männern hat in ihrem Leben sexuelle Gewalt erlebt.
Überlebende von sexueller Gewalt erleben oft eine Mischung aus schwerwiegenden emotionalen und psychologischen Folgen. Die häufigsten emotionalen Reaktionen sind Angst, Wut, Scham und Schock. Die häufigsten langfristigen psychologischen Folgen sind Verlust des Selbstvertrauens, das Gefühl der Verletzlichkeit, Angst, Beziehungsschwierigkeiten und Schlafstörungen.
Quelle: European Union Agency for Fundamental Rights. (2014). Violence against women: an EU-wide Survey. Main results. S. 56-58.
Was ist sexuelle Zustimmung?
Sexuelle Zustimmung ist ganz einfach eine Vereinbarung zwischen deinem oder deiner Partner*in und dir, sich an einer sexuellen Aktivität zu beteiligen. Diese Vereinbarung ist unter den folgenden Bedingungen gültig:
- Ihr verfügt über den Freiraum, ohne Druck oder Widerstand zu entscheiden.
- Ihr verfügt über alle relevanten Informationen, die ihr benötigt, um eine Entscheidung zu treffen.
- Ihr steht nicht unter dem Einfluss von Alkohol oder Drogen.
- Ihr seid wach und bei Bewusstsein.
- Ihr habt das Recht, jederzeit „Nein“ zu sagen.
Sexuelle Zustimmung kann je nach Person und Situation variieren. Deshalb ist die offene Mitteilung deiner Absichten und die Frage, ob die andere Person damit einverstanden ist, der sicherste und respektvollste Weg. Wenn es um die sexuelle Zustimmung geht, reichen vage Annahmen nicht aus. Du benötigst eine klare Bestätigung deines Gegenübers, um dir wirklich sicher zu sein zu können, was die Person gerade möchte.
Stelle sicher, dass du dir eine Einwilligung deines Gegenübers einholst, bevor die Handlung in die eine oder andere Richtung geht:
- Wenn alle beteiligten Personen zustimmen, könnt ihr eine einvernehmliche sexuelle Aktivität genießen;
- Wenn eine Person nein sagt, könnt ihr eine einvernehmliche Beziehung frei von sexualisierter Gewalt führen.
In beiden Fällen werdet ihr euch sicher und respektiert fühlen. Wenn du zweifelst, bedeutet das Erhalten eines „Nein“ und die Respektierung dessen, dass du die Teilnahme an einem Akt sexueller Gewalt vermeidest.
Wie kann ich helfen?
Wie kann ich mit meinem eigenen Verhalten etwas bewirken?
Bewusstsein Informiert zu sein, Fakten anzuerkennen und aufmerksam mit der eigenen Wahrnehmung von Situationen umzugehen, führt zu einem größeren Bewusstsein. Du kannst damit beginnen, über deine eigenen Grenzen und Vorlieben zu reflektieren und mit anderen über sexuelles Einverständnis ins Gespräch zu kommen. In Kombination mit Fakten wird dies einen tiefgründigeren Einfluss auf dich und dein Umfeld haben.
Grenzen Denke über deine Grenzen nach und werde dir bewusst, dass sie nicht für jede*n gleich sind. Wenn du dir also unsicher über die Grenzen einer anderen Person bist, dann frag nach.
Einverständnis oder „Consent“ „Consent“ ist das Einverständnis zu Sex. Frag nach und versichere dich, dass die andere Person wirklich mit dir intim werden will. Einverständnis sollte ehrlich und freiwillig gegeben werden. Es kann jederzeit widerrufen werden, auch während der sexuellen Aktivität.
Wie unterstütze ich Personen, die sexualisierte Gewalt erlebt haben?
Hör zu Lass die Person offen sprechen und verlange nicht sofort jedes kleinste Detail zu erfahren.
Nimm dir Zeit Die Person fühlt sich vielleicht angegriffen und wird aufhören zu sprechen, wenn sie sich unter Druck gesetzt fühlt.
Vertraue Beruhige die Person, nimm das Erzählte ernst und lass sie wissen, dass alle Emotionen normal sind und es keine falsche oder richtige Reaktion auf ein traumatisches Erlebnis gibt.
Verurteile nicht Sag der Person, dass sie für das Geschehene nicht verantwortlich ist.
Lass Freiraum Stelle offene Fragen aber vermeide solche, die mit „warum“ beginnen. Habe keine Angst vor Stille.
Wie kann ich mich engagieren?
Egal ob das Thema neu für dich ist oder du radikale*r Feminist*in bist: Wir brauchen eine Vielfalt an Perspektiven und Stimmen. Dabei ist es okay nicht die Kraft für sozialen Aktivismus aufbringen zu können. Doch auch im täglichen Leben ist es wichtig, dass Informationen verbreitet, Sprechen über Sex normalisiert und in Einvernehmlichkeit gehandelt wird. Engagement kann auch heißen für Überlebende sexualisierter Gewalt zu spenden oder Petitionen gegen ungerechte Bestimmungen zu unterzeichnen oder zu starten.
Falls du neben den ganz persönlichen Veränderungen regelmäßig aktiv sein möchtest, freut sich „Action for Awareness“ auf dich. Wir sind eine Gruppe von Personen wie Dir, die Bewusstsein schaffen, Diskussionen anstoßen und eine sich unterstützende Gemeinschaft fördern wollen
Möchtest du dich weiter informieren?
Literatur
- Black, M.C., Basile, K.C., Breiding, M.J., Smith, S.G., Walters, M.L., Merrick, M.T., Chen, J., & Stevens, M.R. (2011). The National Intimate Partner and Sexual Violence Survey (NISVS): 2010 Summary Report. Atlanta, GA: National Center for Injury Prevention and Control, Centers for Disease Control and Prevention. (EN)
- Bureau de coopération interuniversitaire. (2017). Sexual Harassment and Violence in the University Context. (EN)
- European Union Agency for Fundamental Rights. (2014). Violence against women: an EU-wide survey. Main results. (EN)
- Krebs, C. P., Lindquist, C.H. Warner, T. D., Fisher, B. S., Martin, S. L. (2007). The Campus Sexual Assault (CSA) Study. p.xviii. (EN)
- Stop Street Harassment. (2018). The Facts Behind the #MeToo Movement: A National Study on Sexual Harassment and Assault. (EN)
- World Health Organization. (2012). Understanding and addressing violence against women. Sexual violence. (EN)
- Gender-Based Violence, Stalking And Fear Of Crime. Länderbericht Deutschland. EU-Projekt 2009-2011, Ruhr-Universität Bochum. (DE)
Webseiten
- Consent is everything (EN)
- END RAPE ON CAMPUS (EN)
- Sexual Abuse & Assault of Boys and Men (EN)
- Project Consent (EN)