Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Verantwortliche,
wir freuen, dass wir als Studierendenschaft frühzeitig bei den Workshops zur Entwicklung des Bremerskamp eingeladen wurden und mit Ihnen und vielen weiteren Akteur*innen in den produktiven und konstruktiven Austausch treten konnten. Ein besonderer Dank gilt an dieser Stelle der GMSH und der Moderation.
Zum Abschluss der Öffentlichkeitsbeteiligung möchten wir uns erneut zu Wort melden. Einerseits beiliegend ist die Resolution des Studierendenparlamentes der Christian-Albrechts-Universität im Namen der gesamten Studierendenschaft der CAU. Dieser Beschluss zur Stellungnahme wurde am 24.01.2022 verabschiedet und ist, auch wenn Sie nicht direkt als Adressat*innen gelistet sind, auch nach Beschlusslage und -begründung für die Stellungnahme für die vorliegenden B-Pläne beschlossen worden.
Darüber hinaus möchten wir im Namen des AStA, als Interessenvertretung und Selbstverwaltung der 27.000 Studierenden, auf folgende zwei Aspekte, in unseren Augen Missstände, tiefer eingehen.
1) Lebendiger Campus
Aus den Workshops, Beteiligungsformaten und Gesprächen ging hervor, dass für alle Beteiligten der Wunsch eines lebendigen Campus, auf welchem sich Menschen aufhalten, auch gerne aufhalten, für den Prozess von grundlegender Bedeutung ist.
Die Kommunikation der Verantwortlichen und Projektträger*innen, auch in den Beteiligungsformaten im Januar 2022, stellt die (urbanen) Lebendigkeit und die Aufenthalts- und Lebensqualität in dieser Planung als bedeutsame Faktoren dar. Formulierungen wie „ein lebendiger Campus“, „belebter Stadtteil“, „lebendiges Universitätsquartier“ sollen Attribute der zukünftigen Entwicklung sein.
Diese Bild eines lebendigen Universitätsquartiers steht für viele Beteiligte, wenn nicht alle, im Gegensatz zum aktuellen Zustand des Campus um die Leibnizstraße mit den Fakultätenblöcken, der Hauptbibliothek, Mensa 2 und weiteren Gebäuden und Einrichtungen.
Die monofunktionale Nutzung mit seinem Zweck der Hochschule als Arbeits- und Ausbildungsplatz bewirkt, dass sich hauptsächlich zu den üblichen Lehrveranstaltungs- und Arbeitszeiten zwischen 8 Uhr/10 Uhr und 16 Uhr dieser Bereich mit Menschen füllt. Danach „werde die Bürger*innensteige hochgeklappt“ – der Campus verwaist.
Von der Anzahl, bzw. Anwesenheit von Menschen unterscheidet sich dieses Areal also nicht sonderlich von einem monofunktionalen Gewerbegebiet, die Menschen sind nur da, wenn sie gerade hier arbeiten.
Auch die tatsächlich vorhanden freiräumlichen Qualitäten der Teiche zwischen Bio-Turm und Sportzentrum, den Wiesen und Flächen im Bereich oder bspw. die Sitzmöglichkeiten vor Mensa 2, nutzen nur sehr wenige Menschen. Außerhalb des Unibetriebs ist der Campus ein Ort, der von Menschen durchfahren/durchgangen, also als Korridor genutzt wird (Space). Er ist kein Ort, der durch Praktiken außerhalb der „Uni-Arbeitszeiten“ Lebendigkeit und Bedeutung erlangt (Place). Letzteres könnte und sollte er sein.
Diese Qualitäten, inklusive des Botanischen Gartens, dessen Bekanntheitsgrad/Ort in der Kieler Bevölkerung auch eher gering ist, bzw. selten genutzt wird, reichen also nicht aus, Lebendigkeit zu erzeugen.
Mit Hinblick auf die Planung des Bremerskamp kann hier festgehalten werden: Auch mehr Gebäude, mehr „schön“ gestaltete Orte, werden nicht ausreichen plötzlich Menschen anzuziehen.
Lebendigkeit erlangt mensch einerseits durch Orte, die eine Destination sind, in dessen Räumen sich Menschen aufhalten wollen und absichtlich hinkommen. Hierbei kann eine „hohe“ Lebendigkeit erzeugt werden, in dem viele Menschen kommen, aber auch, in dem weniger kommen, diese sich aber länger aufhalten. Hierfür ist Versorgung vor Ort notwendig (Nahversorgung, Cafés, Toiletten usw.).
Die zweite Möglichkeit Menschen an einen Ort „zu holen“, bzw. zu binden ist Wohnraum.
Wohnraum erzeugt das Grundrauschen menschlicher Aktivität.
Dieses Grundrauschen erzeugt Sicherheit (Jane Jacobs „eyes on the street“), Aufmerksamkeit und Bedeutung durch Praktiken. Der Schrevenpark ist nicht nur wegen seiner freiräumlichen Qualitäten eine Destination, sondern auch, weil ihn viele Menschen nutzen und es automatisch andere anspornt, dies auch zu tun (Multiplikationseffekt).
Entweder kommen Menschen also freiwillig oder sie sind „gezwungen“/zwangsläufig vor Ort, weil sie dort wohnen.
Im Wettbewerb des städtebaulichen Rahmenplans und den Entwürfen der Architekt*innen war Wohnraum immer ein zentraler Aspekt der Planung (siehe GMSH Publikation zum Rahmenplan). In den fachlichen Gesprächen in den Arbeitsgruppen, auch mit Teilnehmenden der GMSH und dem Kieler Stadtplanungsamt, war auch der Umfang der Funktion Wohnen ein bedeutsamer Aspekt. Hier fiel die Zahl von mind. 6.000 Wohneinheiten für den gesamten F-Plan Bereich des Campus um die Leibnizstraße und Bremerskamp, damit von einem „lebendigen Universitätsquartier“, einem lebendigen Raum, gesprochen werden und zukünftig entwickeln kann.
Mit den anfangs in die Planung einfließenden zugesagten 1.000 Wohneinheiten, die das Studierendenwerk kapazitär zu diesem Zeitpunkt eigenständig umzusetzen war, waren wir als Studierendenvertreter*innen schon sehr zufrieden.
Das daraus in der Abschlussveranstaltung der Workshopreihe 150 Wohneinheiten gemacht wurden, was während der Veranstaltung stark kritisiert wurde und sich zu einem zentralen Diskussionspunkt entwickelte, empfinden wir weiterhin als nicht akzeptables Verhalten der damaligen Verantwortlichen und eine städtebauliche, fachliche Fehlentscheidung.
Die alleinige Fokussierung auf Flächen für Forschung und Institute ist keine Planung aus diesem Jahrhundert und zeugt von einem fehlenden oder fehlgeleiteten Verständnis, wie städtebaulich Lebendigkeit in Räumen ermöglicht wird. Es ist eine reine Planung für Gebäude, es fehlt das Verständnis (oder der Wille), wie Menschen (urbane) Räume nutzen und Universität zu einem „lebendigen Ort“ werden kann.
Die aktuelle angesetzte Anzahl von 500 Wohneinheiten, wobei diese nicht mal dem Studierendenwerk zugeschrieben sind, sondern u.U. private Investor*innen bauen sollen (daraus entsteht nie, dass kennen wir in Kiel, für Studierende bezahlbarer Wohnraum), ist weiterhin viel zu gering.
Insbesondere, wenn mensch sich anschaut, wann diese Wohneinheiten im Blick auf die Bauabschnitte realisiert werden können. Was und wem nutzen über die Hälfte der Wohneinheiten, wenn sie erst 2035 fertiggestellt sein sollen?
Auch bis dahin wird ein neuer Bremerskamp genauso menschenleer und tot sein, wie der es im vorhandenen Bereich seit Jahrzehnten der Fall ist.
Das Label des „lebendigen Universitätsquartiers“ ist im Moment viel eher ein Kommunikationswerkzeug, als ein umsetzbares Ziel.
2) Mobilität
Menschen, die vor Ort leben, müssen nicht erst zur Universität pendeln, flächenfressende Autoparkflächen beanspruchen oder Kapazitäten des ÖPNV belasten.
Wohnraum auf dem Campus – Wohnraum auf dem Bremerskamp erzeugt diesen Effekt.
Wohnraum auf Universitätsflächen sind normal und international mit Zielvorgaben und Ambitionen verbunden. Beispielhaft anführen lassen sich die University of British Columbia (UBC) in Vancouver/Kanada, deren Ziel ist, dass 50% der Studierenden auf dem Campus wohnen. Das erzeugt Lebendigkeit und vitale Universitätsquartiere. Die EPFL Lausanne/Schweiz, von welcher der damalige CAU Präsident Kipp mit Herrn Ricci auch personell und inspirativ für den Prozess Unterstützung ermöglichte, bietet rund 15% ihrer Studierenden Wohnraum auf/am Campus.
Der Anteil der Studierendenwohnheime in Schleswig-Holstein und Kiel ist bekannt, niedrig einstellig… der Wohnraum auf dem und in direkter Umgebung des Campus der CAU ist ebenfalls äußerst gering.
Wohnen auf dem Bremerskamp: Zukünftig eine hervorragende Anbindung mit der Stadtbahn an das Kieler ÖPNV Netz, die Veloroute 10 direkt vor der Nase, Versorgung, Holtenauer und Innenstadt schnell erreichbar. Das wäre attraktiv.
„Verkehr entsteht, wenn etwas verkehrt steht“ – nicht nur im Hinblick auf Mobilität, auch weitergedacht auf Soziales oder der Klimakrise ist es sinnvoll funktional gemischte Bereiche zu entwickeln und eben nicht mehr monofunktionale (innenstadtnahe) Flächen. Dies gilt auch für F-Plan Flächen Hochschule/Forschung.
3) Wohnraum und die äußerst angespannte Lage des Kieler Wohnungsmarktes
Studierende in WGs konkurrieren mit Familien um Wohnraum. Jedes Jahr zu Semesterbeginn im Oktober allein über 600 Studierende, die auf der Warteliste des Studierendenwerkes stehen. Steigende Mieten, fehlende „große Schritte“, die die Lage entspannen.
Wie toll wäre es da, wenn das Studierendenwerk Schleswig-Holstein seine 1.000 Wohneinheiten in den nächsten Jahren realisieren könnte. Hier vor Ort in Kiel, an der CAU.
Die Studierenden, die hier unterkommen, belasten nicht mehr den städtischen Wohnungsmarkt. Sie sind versorgt mit bezahlbarem Wohnraum und auch mit einem Dienstleister, wenn ich an dieser Stelle das Studierendenwerk so nennen darf, welcher Partner der Studierendenschaft und zentral wichtig für die Universität und das Leben in ihr ist.
Und welche verlorene Chance ist es für den Kieler Wohnungsmarkt, die Kieler Politik/Verwaltung und die Universität, wenn diese Möglichkeiten nicht genutzt werden würden.
Neben studentischem Wohnraum wäre ein Anteil von „normalem“ Wohnraum für nicht-Studierende natürlich auch sinnvoll. Dies gilt besonders im Hinblick auf Internationalisierung und der Werbung Kiels und der CAU als attraktiver Standort und Arbeitgeberin für internationale Forscher*innen und Lehrende. Weiterhin haben internationale Studierende, Forschende und Lehrende auch auf dem Kieler Wohnungsmarkt durch Rassismus Probleme, unkompliziert an Wohnraum zu gelangen.
Fazit
Abschließend ist zusammenzufassen, dass der Anspruch eines lebendigen Universitäts-Campus oder gar eines Universitätsquartiers, mit der geringen Anzahl an Wohneinheiten nicht erreicht werden kann. Es fehlt das „Grundrauschen“, damit Lebendigkeit und Qualitäten entstehen können.
Die Notwendigkeit für den Bremerskamp, die Studierenden und allen Bürger*innen Kiels, die vom Thema Wohnen betroffen sind, zeitnah Wohnraum in Kiel zu schaffen ist ungehindert.
Wir fordern mehr Wohnraum auf dem Bremerskamp – und das zeitnah und nicht erst in 10 oder mehr Jahren.
Für Rückfragen, Austausch und Einschätzungen stehen wir als AStA, als Selbstverwaltung und Interessenvertretung der mit rund 27.000 Studierenden größten Statusgruppe der Universität Kiel, jederzeit zur Verfügung.
Mit besten Grüßen
Carlotta Tiedemann, Uta Boßmann & Julian Schüngel
AStA-Vorstand, Kiel, 02.02.2022
Siehe hierzu auch: Beschluss/Resolution des Studierendenparlamentes zur Bebauung des Bremerskamp
sowie: Städtebaulicher Rahmenplan für das Areal am Bremerskamp vom Gebäudemanagement SH